Tuesday, December 23, 2008

Wenn sich das Politische und das Spirituelle treffen“

Westküsten-Streiflicht INFO 3 !, 2009

Weit über sein eigenes Land hinaus betrachten Menschen ihn als Weltenretter und säkularen Messias. Auf YouTube besingen ihn unzählige Lieder in vielen Sprachen als strahlenden Hoffnungsträger. Barack (Kishuaeli für „Segen“) Obama gilt als begnadeter neuer Präsident im Weissen Haus. Besonders nach der vorangegangenen Periode engstirniger und verbohrter Welt- und Innenpolitik sind die Erwartungen an ihn gewaltig.

Es gibt andererseits Verschwörungstheorien, die auch Obama als Spielball finsterer Mächte darstellen. Kein Wunder: Im Internet und an der US-Westküste feiern Gerüchte über geheime Intrigen seit Jahren und zunehmend Hochkonjunktur. Über weltweit rezipierte Sagas wie dem unbekannten Familienleben Jesu Christi hinaus gibt es einen „alltäglichen Wahnsinn“, der in virtuellen und realen Zirkeln heraufbeschworen wird.

Warum bemerkt es denn fast niemand? Sie tun es jeden Tag, sie tun es offen - und niemand sieht es!“ Tej aus dem Westküstenstädtchen Ashland trifft sich regelmässig mit Gleichgesinnten, um sich über die am Himmel sichtbaren, schleichenden Attacken auf die unwissende Bevölkerung auszutauschen. „Chemtrails“ sind für ungeübte Beobachter nichts anderes als Kondensstreifen von Jets. Chemtrail-Insider wissen jedoch, dass es sich in Wirklichkeit um eine Mischung biochemischer Giftstoffe handelt, die im unbekannten Auftrag täglich von Flugzeugen in die Atmosphäre über Ashland und anderer Regionen der USA gesprayt werden. Geheimes Ziel ist es, die Bewohner liberaler US-Regionen durch Krankheiten zu schwächen und bei ihnen eventuell sogar Bewusstseinsveränderungen herbeizuführen... Dies ist wohlgemerkt nicht ein Kantinengespräch im örtlichen Mental Hospital, sondern die feste und offen geäusserte Überzeugung geachteter Mitbürger in der politisch und spirituell regen Westküstenlandschaft.

Die Attacken von 9/11 haben in mehrerer Hinsicht Dämme gebrochen. Spätestens seit diesem Einschlag in die Bollwerke unseres Realitätsglaubens wird alles für möglich gehalten. Die vielen unaufgeklärten Umstände des Attentats schüren bei vielen Amerikanern bis heute den Verdacht, ihre Regierung habe aus strategischen Gründen die massenmörderische Aktion selbst ausgeheckt. Was auch immer an dieser ungeheuerlichen Vermutung wahr sein mag, Tatsache ist jedenfalls, dass die ihrem ruhmlosen Ende entgegengehende Bush-Regierung sowohl ihr Volk als auch die Weltgemeinschaft mehrfach hinters Licht geführt hat. Die SZ berichtete Ende November online: „Weil Cheney und Rumsfeld den meisten (eigenen) Geheimdiensten misstrauten, wurde Anfang 2002 im Pentagon eine Arbeitsgruppe mit dem Titel "Office of Special Plans" (OSP) installiert, die sich selbst "the cabal" nannte. Das heißt "Intrige", und dieser Name war keine Übertreibung für die verschworene Truppe, die nur zwei Dutzend Mitarbeiter hatte. Aufgabe der Spezialabteilung war es, Beweise für eine Verbindung zwischen dem Diktator Saddam Hussein und Osama Bin Laden herbeizuschaffen und das Arsenal der angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddams neu zu taxieren.” Wie wir wissen, diente diese “Materialbeschaffung” als Grundlage für eine arglistige Täuschung.

Wem kann man da noch trauen? Auch Obama, so der Tenor einer im Internet erhältlichen Publikation, sei eben nur eine Figur der geheimnisumwitterten “Trilateralen Kommission”, der “Allianz der größten kapitalistischen Staaten mit dem Ziel, eine ihren dominanten Interessen entsprechende, stabile Form der Weltordnung voranzutreiben oder zu erhalten” (wikipedia). Obamas weltweite Überzeugungskraft beruhe auf dem Einsatz ausgeklügelter Massenhypnosetechniken, die er bei seinen Reden anwende...

Dies mag nur insoweit erwähnenwert sein, als dass es die chronischen Ängste in Teilen des endzeitlich gestimmten (und wie der Rest Amerikas von einer herben Wirtschaftskrise gebeutelten) New Age wiedergibt. Als Höhe- bzw. Endpunkt dieser Entwicklung sehen viele gebannt auf das Datum 21. Dezember 2012, den Tag, an dem die gegenwärtige Periode des Maya-Kalenders endet. Bis dahin, so die meist gechannelten Vorhersagen, werden sich katastrophale Ereignisse wie Anschläge, ökologische Unfälle und ökonomische Crash häufen.

Die positive Interpretation der kommenden Zeitenwende betont dagegen unterstützende Entwicklungen und als solche wird natürlich von fast allen die Wahl Obamas gesehen. Verschwörungstheoretiker, die sich noch einen Funken Hoffnung bewahrt haben, Linke und Liberale, Kulturkreative und Integrale finden sich heute trotz aller Verschiedenheiten unter einem von allen gleichermassen als integer empfundenen Präsidenten vereint.
Besonders für Integrale interessant übrigens in dem Zusammenhang, dass Obama bei einem Fundraising-Dinner während des Wahlkampfs Wilber zitierte.

Aber auch spirituell traditioneller orientierte Lehrer wie Gangaji und Eli Jaxon Bear betonten kürzlich in einem Interview die Bedeutung von Obamas Wahl. “Ich fühle mich so zu ihm hingezogen, dass ich fast weinen muss, wenn ich ihn sehe. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen Präsidenten habe, der ein echter Führer ist. Er ist die Erfüllung von Martin Luther Kings Traum und zugleich noch viel mehr. Ich hatte es mir nie vorstellen können, dass in diesem Land jemals ein so ehrlicher und natürlicher Mensch zum Präsidenten gewählt werden könnte. Er zeigt, was für jeden von uns möglich ist”, sagt Eli. Und Gangaji ergänzt: “Ich sehe ihn als Botschafter der unbegrenzten Möglichkeiten in uns. Ich sehe ihn zugleich als Ankündigung einer weltweiten Öffnung zu einem globalen Bewusstsein. Ohne dass er sich selbst als ´spirituell´ bezeichnet, ist er nichtsdestoweniger ein Träger spiritueller Werte: Mitgefühl, Verzeihung, Einbeziehung von allen. Es sind besondere Zeiten, wenn sich das Politische und das Spirituelle treffen!“

Und die sind es wohl wirklich. Es sind Zeiten, in denen wir starke Kräfte am Werk spüren. Zum Guten wie zum Bösen. Es sind Zeiten des Unvermuteten, in denen gewohnte Strukturen über Nacht zusammenbrechen. So geschehen in einer dieser Zeiten mit der Berliner Mauer, aber andererseits auch mit dem Word Trade Center. In den USA wurde jetzt mit einer einzigen Wahl ein lang existierender Rassismus durchbrochen, aber zugleich mussten als grundsolide geltende Wirtschaftsgaranten plötzlich um Hilfe vor dem Konkurs betteln.

All das weckt Hoffnungen und Ängste zugleich. Es sind Zeiten, in denen ein Art kosmisches Fenster offensteht und das Unmögliche real wird. Und eben dies offenbart wohl eine tiefere Realität.


Wednesday, September 10, 2008

"Überlebnis" von Ulla Berkéwicz

in: "Connection", Oktober/November 2008


Ulla Berkéwicz, “Überlebnis”, Suhrkamp, 2008

Das Sterben ist eine Meisterin aus Deutschland

Sag mir, wie du über den Tod denkst und ich sage dir, wie du das Leben verstehst. Sterben ist Anathema in narzistisch-atheistisch-hedonistischer Kultur. Dabei gäbe es viele Gründe, der Begegnung mit dem Tod ins Auge zu sehen. Traditionelle Gesellschaften zelebrierten ihn als Übergang und räumten dem Sterben öffentlichen Raum ein. Heute ist der Übergang unklar geworden und Sterben und Tod bilden ein abgedrängtes, privates Phänomen, dem mit Scheu und Schaudern begegnet wird.

Ulla Berkéwicz lässt keinen Zweifel daran, dass Tod für sie kein sinnloses Ende ist. Umso mehr rechnet sie mit heutigem Sterben ab. Sie schildert, autobiografisch gefärbt, das zeitliche Ende ihres Mannes sowie eines Freundes. Die Liebe ist für sie, so wie für viele große Liebende und spirituelle Menschen, Brücke in die Zeitlosigkeit, d.h. mit Bestand über den Tod hinaus. Die liebende Wegbegleiterin rennt verzweifelt und wütend an gegen die Gleichgültigkeit, Feindseligkeit und Ignoranz, die die sie umgebende Gesellschaft gegenüber Tod und Sterben an den Tag legt. Ausdruck dessen ist das Verhalten der professionellen Sterbehelfer, d.h. Krankenhauspersonal und bezahlte Pfleger ebenso wie traditionelle “Seelenversorger”, in ihrem Fall aus der jüdischen Kultur.

Eindrücke und Beobachtungen strömen in der charakteristischen Poesie der Autorin, in einem ausdrucksvollen, expressionistisch wirkenden Sprachduktus. Ulla B. verfasst damit, so der Eindruck, nicht nur eine kulturkritische Anklage gegen sinnentleertes Sterben, sondern sie schreibt sich auch viel gegenwärtigen Ärger von der Seele. Für ersteres hat sie gute Voraussetzungen; für zweiteres allen Grund.

Ulla Berkéwicz hatte in den siebziger Jahren als Schauspielerin Engagements an namhaften deutschen Bühnen. 1980 ließ sie sich als freie Schriftstellerin in Frankfurt am Main nieder.1990 heiratete sie den Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld. Nach dessen Tod im Jahre 2002 übernahm sie den Vorsitz des Verlages. Wie man den Medien entnehmen konnte, für sie in mancher Beziehung ein einsamer Posten.

Suhrkamp stand in den Nachkriegsjahrzehnten als Synonym für die kritische Frankfurter Schule; die legendäre “Suhrkamp-Kultur” verkörpert bis heute den Geist postmoderner Aufklärung. Die Autorin und Verlegerin geht jedoch nicht erst mit der Erfahrung und Schilderung des Todes als “Überlebnis” über die Kultur ihres eigenen Hauses hinaus. Seit sie ihre postrationale Weltsicht in ihren Büchern zum Ausdruck bringt, erntet sie in den Medien und im eigenen Haus Unverständnis bis hin zum blanken Hass und erbitterter Gegnerschaft. Nach Ansicht beispielsweise des Psychoanalytikers Tilman Moser späte Nachwirkungen der seelischen Verwundung Deutschlands durch die Nazi-Zeit, die bis heute Mystik mit Faschismus verwechseln lässt. Ironie des Schicksals ist dabei, dass Siegfried Unseld den Suhrkamp-Verlag ursprünglich auf Hermann Hesse begründete, einen spirituellen Sinnsucher par excellence und immer noch einen der meistgelesensten deutschsprachigen Schriftsteller im Ausland. “Überlebnis“ ist so gesehen ein lesenswertes Buch nicht nur über die Gegenwart des Sterbens, sondern auch des Ringens um die Wiederaneignung einer integralen Kultur in Deutschland.

Ulla B. deutet in den letzten Sätzen des Buches - versteckt in Poesie, wie es der deutsche Zeitgeist noch erfordert - eine transzendente Erfahrung an. Sie geschieht am Ende ihrer Trauerzeit, am Ende des endlosen Ausharrens am Bett ihres sterbenden Mannes, nachdem sie losgelassen hat von Schmerz und Wut. “Wenn also dann vorbeigegangen ist, was niemals endet..., dann reißt der Spalt. Und dann? Wird man an einem windigen Allerweltstag eingeweht, in eins geweht..., dann ist die Zeit vertickt, dann ist der Bettrand ewig.”

Wolfgang Schmidt-Reinecke, Journalist, Ashland, Oregon, USA, www.sunwolfcreations.com