Wednesday, September 10, 2008

"Überlebnis" von Ulla Berkéwicz

in: "Connection", Oktober/November 2008


Ulla Berkéwicz, “Überlebnis”, Suhrkamp, 2008

Das Sterben ist eine Meisterin aus Deutschland

Sag mir, wie du über den Tod denkst und ich sage dir, wie du das Leben verstehst. Sterben ist Anathema in narzistisch-atheistisch-hedonistischer Kultur. Dabei gäbe es viele Gründe, der Begegnung mit dem Tod ins Auge zu sehen. Traditionelle Gesellschaften zelebrierten ihn als Übergang und räumten dem Sterben öffentlichen Raum ein. Heute ist der Übergang unklar geworden und Sterben und Tod bilden ein abgedrängtes, privates Phänomen, dem mit Scheu und Schaudern begegnet wird.

Ulla Berkéwicz lässt keinen Zweifel daran, dass Tod für sie kein sinnloses Ende ist. Umso mehr rechnet sie mit heutigem Sterben ab. Sie schildert, autobiografisch gefärbt, das zeitliche Ende ihres Mannes sowie eines Freundes. Die Liebe ist für sie, so wie für viele große Liebende und spirituelle Menschen, Brücke in die Zeitlosigkeit, d.h. mit Bestand über den Tod hinaus. Die liebende Wegbegleiterin rennt verzweifelt und wütend an gegen die Gleichgültigkeit, Feindseligkeit und Ignoranz, die die sie umgebende Gesellschaft gegenüber Tod und Sterben an den Tag legt. Ausdruck dessen ist das Verhalten der professionellen Sterbehelfer, d.h. Krankenhauspersonal und bezahlte Pfleger ebenso wie traditionelle “Seelenversorger”, in ihrem Fall aus der jüdischen Kultur.

Eindrücke und Beobachtungen strömen in der charakteristischen Poesie der Autorin, in einem ausdrucksvollen, expressionistisch wirkenden Sprachduktus. Ulla B. verfasst damit, so der Eindruck, nicht nur eine kulturkritische Anklage gegen sinnentleertes Sterben, sondern sie schreibt sich auch viel gegenwärtigen Ärger von der Seele. Für ersteres hat sie gute Voraussetzungen; für zweiteres allen Grund.

Ulla Berkéwicz hatte in den siebziger Jahren als Schauspielerin Engagements an namhaften deutschen Bühnen. 1980 ließ sie sich als freie Schriftstellerin in Frankfurt am Main nieder.1990 heiratete sie den Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld. Nach dessen Tod im Jahre 2002 übernahm sie den Vorsitz des Verlages. Wie man den Medien entnehmen konnte, für sie in mancher Beziehung ein einsamer Posten.

Suhrkamp stand in den Nachkriegsjahrzehnten als Synonym für die kritische Frankfurter Schule; die legendäre “Suhrkamp-Kultur” verkörpert bis heute den Geist postmoderner Aufklärung. Die Autorin und Verlegerin geht jedoch nicht erst mit der Erfahrung und Schilderung des Todes als “Überlebnis” über die Kultur ihres eigenen Hauses hinaus. Seit sie ihre postrationale Weltsicht in ihren Büchern zum Ausdruck bringt, erntet sie in den Medien und im eigenen Haus Unverständnis bis hin zum blanken Hass und erbitterter Gegnerschaft. Nach Ansicht beispielsweise des Psychoanalytikers Tilman Moser späte Nachwirkungen der seelischen Verwundung Deutschlands durch die Nazi-Zeit, die bis heute Mystik mit Faschismus verwechseln lässt. Ironie des Schicksals ist dabei, dass Siegfried Unseld den Suhrkamp-Verlag ursprünglich auf Hermann Hesse begründete, einen spirituellen Sinnsucher par excellence und immer noch einen der meistgelesensten deutschsprachigen Schriftsteller im Ausland. “Überlebnis“ ist so gesehen ein lesenswertes Buch nicht nur über die Gegenwart des Sterbens, sondern auch des Ringens um die Wiederaneignung einer integralen Kultur in Deutschland.

Ulla B. deutet in den letzten Sätzen des Buches - versteckt in Poesie, wie es der deutsche Zeitgeist noch erfordert - eine transzendente Erfahrung an. Sie geschieht am Ende ihrer Trauerzeit, am Ende des endlosen Ausharrens am Bett ihres sterbenden Mannes, nachdem sie losgelassen hat von Schmerz und Wut. “Wenn also dann vorbeigegangen ist, was niemals endet..., dann reißt der Spalt. Und dann? Wird man an einem windigen Allerweltstag eingeweht, in eins geweht..., dann ist die Zeit vertickt, dann ist der Bettrand ewig.”

Wolfgang Schmidt-Reinecke, Journalist, Ashland, Oregon, USA, www.sunwolfcreations.com