Tuesday, September 25, 2007

Ausser LOHAS nichts gewesen?
Eine kulturkreative Zwischenbilanz

Ganz so unschuldig und ihrer Bedeutung unbewusst wie noch vor zehn Jahren, als sie der US-Soziologe Paul Ray neu entdeckte, sind sie heute wohl nicht mehr. Die Kulturell Kreativen, eine Bevölkerungsgruppe mit liberaler politischer Einstellung, Interesse an einer ganzheitlichen Lebensweise und Werten wie ökologischem Engagement und spirituell-psychologischer Selbstverwirklichung, werden zunehmend auf sich aufmerksam.
Beigetragen hat dazu sicher, dass sie schon recht bald von der werbetreibenden Wirtschaft wahrgenommen und als Zielgruppe aufbereitet wurden. Die trendorientierten Agenturen erklärten die Kulturell Kreativen zu LOHAS, das heisst zu Vertretern eines „Lifestyle of Health and Sustainability“. Laut Wikipedia entsprechen „in den USA ungefähr 30 Prozent der Verbraucher dieser Ausrichtung, in Deutschland etwa 15 Prozent. LOHAS werden unter anderem als Natur- und
Outdoor-Urlauber oder als Kunden von Biosupermärkten geortet“.
Bio boomt bekanntlich und so wird heute die weltweite Kaufkraft dieser Gruppe auf mehr als 500 Milliarden Euro geschätzt. Wie
Claudia Rinke in CONNECTION schreibt, entwickelt der Markt in Deutschland derzeit Produkte für die neue Zielgruppe. Marko Fedrizzi, Brand Manager bei der Ski-Firma Kneissl:
»Die Kulturell Kreativen sind für uns als Kunden sehr interessant. Sie sind gesundheitsbewusst und treiben in der Regel viel Sport - bevorzugt in der Natur. Außerdem sind sie anspruchsvoll bezüglich der Qualität und der ästhetischen Gestaltung des Produktes.«

Wie so oft ist der neue Trend in den USA schon etwas weiter gediehen. Hier gibt es bereits regelrechte Lifestyle-Imperien mit weitgespannten Produktpaletten. Die Firma GAIAM (www.gaiam.com) etwa bietet dem aktiven und solventen Kulturell Kreativen das volle Programm mit eigenem Windrad, Yoga- und Meditationsassecoirs, biologischer Kleidung, energiesparenden Lampen, Wellnessheimgeräten und neuerdings auch einer Auswahl spiritueller Filme. GAIAM, 1988 ursprünglich als Yogamattenhersteller gegründet, übernahm im letzten Jahr Stephen Simons erfolgreich expandierenden Spiritual Cinema Circle mit seinen weltweit mehr als 20.000 Abonnenten.

Neben dem Markt haben in den USA vor allem die Medien damit begonnen, auf den kulturkreativen Trend zu reagieren. Anzeichen dafür können im Erfolg von überregionalen “Trägern positiver Nachrichten” wie UTNE, YES und natürlich den in Millionenauflagen erscheinenden Yoga-Hochglanz-Magazinen gesehen werden. Großstädtische Szene-Blätter wie COMMON GROUND präsentieren neben den neuen Werten ebenso neue Produkte - Amerika wäre nicht es selbst, nähme es nicht jede ideelle Gelegenheit zum materiellen Verkauf wahr.

Bemerkenswerter ist vielleicht, dass in den USA auch die etablierten Presseorgane auf die Kulturell Kreativen aufmerksam werden. NEWSWEEK veröffentlichte bereits im letzten Jahr die Ergebnisse eine Umfrage zum Verhältnis der Amerikaner zur Spiritualität. Spätestens hier erfuhr ein breites Publikum, dass es ungeachtet der lautstarken christlich-fundamentalistischen Minderheit im Lande eine wachsende Zahl von Menschen gibt, die sich als spirituell versteht, ohne damit notwendigerweise an eine Religion gebunden zu sein. Die Kennzeichnung “spiritual, but not religious” findet seitdem neben “religiös”, oder “konfessionslos” als neues Label zunehmend in den Medien Eingang. So gesehen erfährt derzeit in den USA eine zentrale Qualität der Kulturell Kreativen ihre gesamtgesellschaftliche Integration als neuer Wert und veränderte Lebenseinstellung.

In Deutschland sind die tonangebenden Medien noch verhaltener. SPIEGEL ONLINE berichtete Ende letzten Jahres zwar etwas verwundert, doch ohne Häme über das Phänomen der Kulturell Kreativen. Die implizite Anmerkung, dass deren Werteskala eine spirituelle Offenheit beinhaltet, ist dabei nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber immerhin ein grosser Schritt für den SPIEGEL!

Abgesehen von diesen Erfolgen ihrer externen Wahrnehmung bleibt die Frage, ob es auch innerhalb der neuen Bevölkerungsgruppe eine Fortentwicklung gibt. Der Evolutionsphilosoph und Bewußtseinsforscher Ken Wilber beklagt jedenfalls deren bisheriges Ausbleiben und sieht zuwenig Anhaltspunkte, um sich der positiven Wertung Paul Rays der Kulturell Kreativen als Träger eines neuen “integralen Bewußtseins” anzuschliessen. Die Webseite des INTEGRALEN FORUMS zitiert Wilber: “Was Ray die integrale Kultur nennt, ist nicht integral in dem Sinne, wie ich den Begriff verwende. Es wurzelt nicht in universalem Integralismus, reifer Schau-Logik oder Sekundärschicht-Bewußtsein. Vielmehr deuten Rays Untersuchungen daraufhin, daß die Mehrheit der Kulturell Kreativen im Grunde das grüne Mem aktiviert, was klar aus ihren Werten hervorgeht: diese sind nämlich stark antihierarchisch, auf Dialog ausgerichtet und propagieren einen Flachland-Holismus ("Alles-und-Jedes-Ganzheitlichkeit", wie Ray es formuliert)."
Wilber sieht gleichwohl in dieser Bevölkerungsgruppe das Potential verkörpert, aus dem integrales Bewußtsein erwächst. “Wenn die Kulturell Kreativen in ihre zweite Lebenshälfte gelangen, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem eine weitere Bewußtseinstransformation besonders leicht erfolgen kann, nämlich die vom Grün zum gereiften Sekundärschicht-Bewußtsein.”
Was Wilber im integral-evolutionären Jargon seiner Philosophie zum Ausdruck bringt, zielt vor allem auf die Qualität eines zur Integration fähigen und kohärenten Welt- und Selbstbildes. Eine integrale Perspektive ist in der Lage, Weltbilder wie “religiös-kollektiv” oder “materiell-individualistisch” sowohl historisch konstruktiv zu verorten als auch in der eigenen Persönlichkeit zur fruchtbaren Synthese zu führen. Mit anderen Worten: Integrales Bewusstsein versöhnt mit der Vergangenheit und schafft Freiraum für die Zukunft.

Fazit: Die gesellschaftliche Integration der Kulturell Kreativen macht Fortschritte. Damit diese Integration fruchtbar wird und nicht zur blossen Vereinnahmung gerät, gilt es die kulturKreative Haltung zu vertiefen. Von Pionieren wie Wilber - und lange vor ihm von Rudolf Steiner oder Sri Aurobindo - liegen dazu Anleitungen vor, sowohl zur eigenen wie zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Im Hinblick auf die weltweiten und bedrohlichen Spannungen zwischen Moderne und Tradition, den beiden anderen grossen Protagonisten der Rayschen Bevölkerungsanalyse, kann eine integrale Perspektive durchaus einen Ausweg bieten. „Lifestyle of Health and Sustainability“ im weiteren Sinne interpretiert ist dafür sicher kein schlechtes Motto. Zu seiner Umsetzung braucht es allerdings statt kulturkreativer LOHAS-Konsumenten eher integrale LOHAS-Akteure.


INFO 3, Oktober/November 2007


Sunday, May 20, 2007

Hahnenkampf um Paradigmen

Westküsten-Streiflicht

Hahnenkampf um Paradigmen

Integrales Bewusstsein mit neuen Geschlechterrollen

Eine ungeschützte Beobachtung: Im politischen Leben, gleich ob Kalifornien oder Bayern, wirken die Vertreter traditioneller Welt- und Gesellschaftsbilder oft entschlossener und „kraftvoller“ in ihrem Auftreten als ihre liberalen Widerparts. Von jahrhundertealter Glaubensüberzeugung erfüllte Wahrheiten werden lautstark und selbstbewusst verkündet. Viele unentschlossene Wähler, selbst wenn sie eigentlich mehr zu liberalen Haltungen neigen, lassen sich von dieser scheinbar grösseren Schlüssigkeit beeindrucken.

Da es überwiegend Männer sind, die konservative bis fundamentalische Sichtweisen offensiv vertreten, die Frage: Ist diese ungebrochene Selbstgewissheit eine „männliche Eigenschaft“? In den USA gibt es jedenfalls viele, die die religiös orientierte Law-and-Order-Partei der Republikaner in Präferenz des „starken Geschlechts“ sehen und die sozial-liberaleren Demokraten eher dem weiblichen Wahlvolk zuordnen.
Jenseits vertrauter Polarisierungsmuster gibt es jedoch auch ein evolutionäres Erklärungsmodell. Nach diesem kündigt sich verborgen in einer liberal-integrativen Haltung ein grundlegend neues Welt- und Selbstverständnis an, das bisher einfach noch keine feste Gestalt angenommen hat.

Der US-Soziologe Paul Ray definiert die entstehenden Wertegemeinschaft der KulturKreativen unter anderem dadurch, dass sie sich noch keine verbindlichen Definitionen und kulturellen Ausdrucksformen geschaffen habe. KulturKreative – oder LOHAS - vereinen in eher lockerer Synthese Haltungen und Werte des traditionellen wie des modernen Lagers. Den konsequent nächsten Schritt, die innere und äussere Arbeit zur Definierung eines neuen und kohärenten Weltbildes, leisten allerdings nur wenige. Integrales Bewusstsein nennen der Evolutionsphilosoph Ken Wilber und der Entwicklungssoziologe Don Beck das geglückte Ergebnis solcher Erkenntnisarbeit.

Wilber war es auch, der auf die sogenannte Prä-/Trans-Verwechslung hinwies. Sie geht davon aus, dass sich heute neben traditioneller Religiosität eine sozusagen emanzipierte Spiritualität entwickelt hat. Sie bezieht rationales Denken mit ein, geht aber darüber hinaus. Diese transrationale oder ganzheitliche Haltung als solche nicht zu erkennen und stattdessen jegliche Form von Spiritualität als vormodern und vorwissenschaftlich einzustufen macht eben die Prä-/Trans-Verwechslung aus.

Lange vor Wilber hatte schon Rudolf Steiner eine entwicklungsbezogene Differenzierung innerhalb der spirituellen Ausdruckformen vorweggenommen. In seinem Vortrag Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe vergleicht Steiner die in Jahrtausenden ausgereifte Meisterschaft der vedisch-upanischadischen Spiritualität mit dem jungen, zu sich selbst erwachendem Christus-Bewusstsein. Ein Qualitätsvergleich, der hinsichtlich der jeweiligen Ausformung ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Entwicklungstiefe haushoch zugunsten der älteren asiatischen Spiritualität ausfällt.
Vielleicht auch deshalb erscheinen bis heute vielen Suchenden im Westen Advaita und - der auf historischen Grundlagen beruhende - Buddhismus als dem Christentum überlegene und verfeinertere Lebenskünste.

Der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn beschreibt die Abfolge jeweils dominierender Paradigmen. Ein neues Weltbild äussert sich zunächst schwach und vereinzelt. Im Stärkerwerden erfährt es meist heftige Abwehr seitens des regierenden Establishments. Kuhn personalisiert diese Auseinandersetzung: Erst mit dem Aussterben der nachdrücklichsten Verteidiger der bisherigen Lehrmeinung kann die neue dominierend werden.
Welches Paradigma in einer Gesellschaft vorherrschend ist, stellt sich so gesehen auch als eine Frage der (Laut-)Stärke ihrer jeweiligen Repräsentanten dar.

Dies mag helfen zu verstehen, warum dieser Darwineske Kampf um Welt- und Menschenbilder historisch gesehen meist von Männern geführt wird. Wilbers Versuch der Definierung und Implementierung eines neuen, integralen Bewussstseins scheint sich konsequenterweise vorrangig an männliche Rezipienten zu richten. Ausdruck findet dieser maskuline Appell zum einen im intellektuellen Gewand seiner ganzheitlichen Theorien und zum anderen in der kritikreichen Aggressivität des Wilberschen Ansatzes. Nicht zuletzt sprechen das muskelbepackte Äussere und die verbalen Cowboy-Attitüden Ken Wilbers für sich.
Es sind dies in jedem Fall ungewohnte Bilder und Töne in der sonst überwiegend sanft-esoterischen New Age-Ecke. In dieselbe versuchen die herrschenden Mainstream-Eliten in USA and Deutschland Wilber zu kategorisieren - allerdings nur mit mässigem Erfolg: Unter anderem Autoritäten wie Bill Clinton und Al Gore beziehen sich öffentlich auf Wilber.
Ein weiterer wichtiger Aspekt integralen Denkens, die ökologische Ganzheitlichkeit, wird in Amerika ausgerechnet vom legendären Macho (und Republikaner) Arnold Schwarzenegger vertreten. Mit seiner kalifornischen Umweltpolitik trägt der Governator nicht unerheblich dazu bei, energiesparende Verhaltensweisen (Stichwort Global Warming) in den USA hoffähig zu machen.

Glücklicherweise, so lässt sich bei Wilber nachlesen, kann vom Integralen Bewusstsein auch eine Synthese von männlichen und weiblichen Haltungen erwartet werden. Dieses neue und mehr intuitive Denken beinhaltet beispielsweise eine kommunikative, vermittelnde Qualität, doch zugleich darf (und muss) auch wieder stärker gewertet werden. Lange Zeit tabu in der positivierenden New Age-Esoterik. Wertungen beruhen hier allerdings nicht mehr auf moralischen Prinzipien, sondern eher auf situationsbezogenen und ganzheitlichen Abwägungen.

Vielleicht also sind es wie in den Vereinigten Staaten bald auch im Freistaat Bayern
zunehmend „g´standene Mannsbilder“, die als Vertreter eines integralen Bewusstseins in Erscheinung treten. Spätestens dann werden auch die letzten SPIEGEL-Leser bemerken, dass ein neues Paradigma im Raum ist.

INFO 3, Juli 2007

Saturday, May 12, 2007

Millionär per Vorstellungskraft - Tellerwaschen war gestern

Westküsten-Streiflicht

Millionär durch Vorstellungskraft - Tellerwaschen war gestern

Wolfgang Schmidt-Reinecke

Im Trendsetter-Städtchen Ashland an der amerikanischen Westküste ist derzeit „Millionärs-Mind“ angesagt. Es handelt sich dabei um die neueste Variante der zahlreichen und meist recht kostspielig gehandelten New Age-Einführungen, die die Gestaltbarkeit der eigenen Realität propagieren. „The Secret“ fasst diese Botschaft als Film zusammen und wird in den USA und jetzt auch in Europa mit grossem Interesse aufgenommen. Die DVD-Präsentation verspricht eine positive innere Ausrichtung als hinlängliches Erfolgsgeheimnis für Reichtum, Gesundheit, Beruf und Liebe. Der Film wurde unlängst in der Talkshow einer der reichsten Frauen der Welt vorgestellt. Ein solcher Auftritt bei Winfrey Oprah bedeutet in der Regel in den USA den kommerziellen oder künstlerischen Durchbruch. So gesehen feiert das erfolgsorientierte New Age derzeit einen neuen Höhepunkt seiner eigenen Mission. Lässt sich damit auch ein neuer Entwicklungsschritt innerhalb des kollektiven Bewusstseins der Menschheit begrüssen?

Millionärs-Mind lässt sich zunächst einmal als die zeitgemässe Adaption eines uramerikanischen Mythos´ betrachten. Für den jedem offenstehenden Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär müssen heute nicht mehr Geschirrberge bewältigt, sondern vor allem die eigenen Gedankenkräfte gebündelt werden. Doch wie es so ist mit Mythen: Ihre Wahrheiten erscheinen in symbolischer Form und bedürfen zu ihrer Entschlüsselung der Intuition oder geschulten Interpretation. Wenn Mythen wörtlich genommen werden, entstehen oft Missverständnisse und Entstellungen.

Das okkulte Wissen über die gestaltende Kraft unserer Gedanken und unseres Willens hat eine lange Tradition. In Schamanismus und Magie bildete es die Grundlage selbst- oder fremdbezogener Manipulation. Je nach Aufgabenstellung entweder zum Wohle oder zum Schaden der Zielperson. Allerdings bedurfte es eingeweihter Mittelsmänner (oder -frauen), die mit Hilfe von Drogen und gezielter Schulung die nötige Konzentrationskraft aufwandten. Heute kehrt dieses Wissen in allen Abstufungen des sogenannten Positiven Denkens wieder. Nicht mehr als esoterische Initiation, sondern als massenhafte Kopierung des vermeintlichen Karriererezeptes erfolgreicher Menschen in der Geschichte.

Der Naturwissenschaft ist solch gedankliche Omnipotenz nicht bekannt. Was es in der traditionellen Physik gibt, sind lediglich Hinweise und Ergebnisse in Hinsicht auf telepathische und telekinetische Beeinflussungsmöglichkeiten. Mögliche quantenphysikalische Korrelationen zwischen Bewusstsein und dessen inhaltlichen Zielsetzungen sind denkbar, aber nicht ausreichend belegt. Die Psychologie kann uns da schon eher darüber Auskunft geben, wie wir auf meist unbewussten Wegen unser Schicksal lenken, etwa durch unsere Erwartungen und Ängste. Psychologie befasst sich jedoch in der Regel nicht mit bewusster Gedankenschulung, sondern eher mit der Analyse der Symptome des Unbewussten. Diese verborgene Weichenstellung als bewusste Gestaltungskraft gedacht lässt immerhin erahnen, in welch hohem Ausmass eine gezielte innere Ausrichtung das Leben entsprechend unseren Wünschen verändern könnte.

Zumindest innerhalb gewisser Grenzen. Da sind zum einen die sogenannten Naturgesetze einschliesslich unserer erbbiologischen Prägung. Sie – und das gilt auch für vorstellbare karmische Vorgaben - prägen und begrenzen uns sicher nicht unumstösslich, sondern sind vielleicht eher, wie der Philosoph und Bewusstseinsforscher Ken Wilber sie nennt, „Cosmic Habits“. Doch wie wir wissen, sind auch Gewohnheiten meist nur schwer zu durchbrechen... Zum anderen setzen gesellschaftliche und kulturelle Gedankenströme, das „kollektive Unbewusste“, unserem individuellen Gestaltungsvermögen Grenzen. Sie als einzelner direkt mit Willens- und Gedankenkraft zu beeinflussen ist wohl möglich, bedarf jedoch einer ausserordentlichen Bewusstseinsqualität.

Die besagten New Age-Schulen verschweigen meist diese Limitierungen und versprechen stattdessen grenzenlosen Erfolg. Und trotz der damit programmierten, zumindest teilweisen Enttäuschung bilden diese Schulungen eine grosse Hilfe für die vielen Menschen, die sich dem Leben und der Gesellschaft gegenüber als weitgehend ohnmächtig betrachten.

Neben der Betrachtung des realistischen Ausmasses ihrer Umsetzbarkeit stellt sich jedoch bei dem Phänomen der fokussierten inneren Zielsetzung auch die Frage nach ihrer seelischen und moralischen Verortung. Traditionell waren es kulturell legitimierte Personen wie Schamanen und Medizinmänner, die ihre besonderen seelischen und geistigen Kräfte in den Dienst der Gemeinschaft stellten. Darüber hinaus gab es immer auch gesellschaftlich geächtete Personen („Hexer und Schwarzmagier“), die ihr Wissen um die innere Beeinflussbarkeit der Welt in erster Linie für eigene Zwecke einsetzten.

Diese Entscheidungsmöglichkeit besteht auch heute, in einer Zeit der exoterischen Propagierung und Vermarktung einst esoterischen Wissens. Wir können diese neu entdeckte Wissen um die Gestaltbarkeit unserer Umwelt und unseres Lebens – ebenso wie technisches und naturwissenschaftliches Wissen - unseren selbstsüchtigen Interessen nutzbar machen. Wir können es aber auch unserem zunehmend offenbar werdendem seelischen Wesen oder höherem Ich unterstellen. Dass dieses Wissen dann gleichfalls in unserem Interesse einsetzt, dies jedoch auf einer viel tieferen Ebene und auf eine Art und Weise, die unseren „Erfolg“ auf feingesponnene Weise mit dem Wohle unserer Umwelt und unserer Mitmenschen verknüpft.

Von dieser Doppelgestalt unserer Individualität, dem Ego einerseits und dem seelischen Wesen oder höheren Ich andererseits, sprechen die vielen auf dem Esoterik-Markt angeboten „Bestellmöglichkeiten beim Universum“ meist nur wenig. Sie lassen es wohlweisslich offen, ob wir die angestrebten Millionen für uns alleine scheffeln oder mit ihnen (auch) zur Entwicklung unser Erde beitragen wollen. Im ersteren Fall, der blossen Bestellung mit dem „Mind“, wird die egoistische Inanspruchnahme dieser Bewusstseinskräfte lediglich den kapitalistischen Krieg aller gegen alle mit subtilen Mitteln verschärfen. Im zweiten Fall, das heisst einer tieferen oder „vom Herzen kommenden“ Ausrichtung, kann der Einsatz derselben Millionen zu einem echten seelischen Entwicklungsschritt führen.

Bemerkenswert ist übrigens, dass sowohl „The Secret“ als auch ein weiterer einflussreicher Film mit gleicher Tendenz jeweils von Machern produziert wurde, die sich auf gechannelte Durchgaben beziehen (bei „Secret“ die „Abrahams“-, bei „What the Bleeb“ die „Ramtha“-Wesenheiten). Channelings bilden heute in der Tat an der US-Westküste eine primäre Quelle ehemals esoterischer Wissensvermittlung. Laut den Aussagen vieler spiritueller Lehrer bergen diese Durchgaben jedoch Gefahr, Wahrheiten und Einsichten überwiegend in verzerrter oder einseitiger Form zu verkünden.

So bleibt denn die Aufgabe, angesichts der unerschöpflich strömenden Entdeckungen und Erzeugnisse der Neuen wie der anderen Welt(en) die unterscheidende Frage nach dem Qui Bono (Wem dient das?) zu stellen. Nicht nur inter-, sondern sozusagen auch innersubjektiv. Angesichts der abendländischen Geistesgeschichte hin zur Individualität nicht zuletzt eine primäre Aufgabe Europas.

INFO3 , Mai 2007


Tuesday, May 8, 2007

Vom Umgang mit Gurus

Westküsten-Streiflicht

Vom Umgang mit Gurus

Integrale Renaissance einer Kulturtechnik

Wolfgang J. Schmidt-Reinecke

Den meisten der rund 100 Anwesenden in dem nüchternen Versammlungsraum war ihre gespannte Erwartung und Besorgnis anzumerken. An einer hervorgehobenen Seite des grossen Kreises sass das im örtlichen Ashland beheimatete und in aller Welt lehrende Meister-Duo Gangaji und Eli Jaxon Bear. Wie zuvor bekannt geworden war, hatte Eli seine Partnerin Gangaji seit Jahren mit einer jüngeren Frau betrogen, noch dazu mit einer von ihm auszubildenden Schülerin. Das prominente Paar sah sich genötigt, seine engste Gemeinde zur gemeinsamen Offenlegung des Vorfalles zu bitten. Der Abend verlief mit viel Tränen und entschuldigenden Worten und konnte doch nicht verhindern, dass sich eine grössere Zahl von Anhängern und langjährigen Mitarbeitern der beiden Advaita-Gurus enttäuscht von ihnen abwandten.

Kein Einzelfall. Öffentliche Vorwürfe seitens frustrierter Schüler gegenüber ihren spirituellen Lehrern mehren sich nicht nur in den USA. Ein derzeit im Internet kursierendes Manuskript liefert eine bitterböse Abrechnung gleich mit einer ganzen Reihe bekannter Namen in Ost und West. (www.strippingthegurus.com). Das Ganze basiert auf einer einfachen Gundregel: Zeige auf, dass der Meister oder die Meisterin menschlich und moralisch gesehen fehlerhaft ist - und der „transpersonale Anspruch“ fällt in sich zusammen. Nach streng abendländischer Logik: Entweder (erleuchtet) oder (Scharlatan). Tetium non datur, ein Drittes gibt es nicht.
Oder vielleicht doch? Wenn ja, dann sind offensichtlich die Merkmale eines Sowohl-als-Auch-Denkens verlorengegangen und müssen gegebenenfalls neu erlernt werden.

Frühe Anthropologen zogen oft einfache Schlüsse, wenn sie Forschungen zu traditionellem Schamanismus durchführten. Die Beobachter registrierten, dass einige der traditionellen Heilpriester mitunter Taschenspielertricks zur Unterstützung ihrer Künste anwendeten. Viele Forscher folgerten daraus, dass dies auch in den anderen Fällen unerkannt geschehe und deshalb schamanistische Heilungs- und Beschwörungsprozesse grundsätzlich auf einem Plazebo-Effekt beruhen. Heute gibt es eine Reihe von Anthropologen, die schamanistische Wirkkraft komplexer sehen. Sie hatten unter anderem zur Kenntnis genommen, dass traditionelle Gesellschaften ihren Heilern differenziert gegenüberstehen. Je nach Situation zollen sie ihnen höchste Verehrung und Respekt – oder sie bringen im Umgang mit ihnen eher Spott und Vorsicht zum Ausdruck. Ist also der unterscheidende Umgang mit Priestern, Lehrern und Heilern der Geisteswelt eine Art Kulturtechnik, die wir so nicht kennen oder die uns verloren gegangen ist?

Vieles spricht dafür bei der Betrachtung eines anderen Beispiels. Sai Baba, derzeit einer der bekanntesten indischen Gurus, sieht sich seit Jahren dem vielfachen Vorwurf homosexueller Päderastie ausgesetzt (www.http://de.wikipedia.org/wiki/Sathya_Sai_Baba). Sai Baba hat weltweit Hunderttausende von Anhängern. Bemerkenswerterweise sind es jedoch vor allem Jungen und Jugendliche aus dem Westen, die Opfer dieser Handlungen werden. Das könnte den Schluss zulassen, dass sich indische Devotees, bewusst oder unbewusst, aus einem mehr oder minder bewussten, innerkulturellen „Guru-Verständnis“ heraus dem Meister vorsichtiger nähern.

Westler sind aufgrund des Erbes abendländischer Aufklärung geschulter darin, offenbar werdende psychologische Schattenseiten der Persönlichkeit zu bewerten. Letztere gilt im Menschenbild traditioneller östlicher Philosophien mehr als illusionäre Maske (=Persona). Vielleicht deshalb scheint bei Gurus, ähnlich wie gegenüber Schamanen in traditionellen Gesellschaften, in Indien und in buddhistischen Ländern weniger auf deren moralischen und „persönlichen“ Anteile geachtet zu werden. Wichtiger ist hier vor allem die Verkörperung einer überpersönlichen Präsenz, von der man sich eigene Erwachens-Initiation oder zumindest Heilung verspricht.

Die Jünger der in Amerika und Europa lehrenden Meister sind überwiegend gebildete Westler und können wahrscheinlich als solche gar nicht anders, als sich irgendwann auch der unbewussten Persönlichkeitsmerkmale ihrer Meister bewusst zu werden. Viele verzweifeln an dieser Entdeckung. Ganzheitliche Evolutionstheoretiker wie Ken Wilber oder Don Beck haben jedoch mittlerweile eindrucksvoll dargelegt, wie innerhalb einer Person (oder einer ganzen Gesellschaft) verschiedene Qualitäten im sehr unterschiedlichen Masse entwickelt sein können. Das Wilber-Combs-Schema etwa verdeutlicht, wie es einzelnen überall und immer schon möglich war, eine tiefe mystische oder Erwachenserfahrung zu verinnerlichen und sich zugleich moralisch oder intellektuell auf einem weitaus „flacheren“ Entwicklungsstand zu befinden („Integrale Spiritualität“, Ken Wilber, 2006) .

Was dennoch bleibt, ist die legitime Sehnsucht vieler Suchender nach lebendigen Zeugen einer höheren Bewusstseinsentwicklung. Vielleicht jedoch nicht mehr so sehr, um sich in eine langandauernde Abhängigkeit von einem Guru zu begeben, sondern eher um einen entscheidenden energetischen Anstoss für die eigene Entwicklung zu bekommen.

Spirituelle Pioniere eines „integralen“ (= integrierenden) Bewusstseins wie Sri Aurobindo in Indien oder Rudolf Steiner in Europa hatten bereits im vorigen Jahrhundert auf einen Zeitgeist verwiesen, der die historische Notwendigkeit der klassischen Guru-Schüler-Beziehung evolutionär überholt. Das Höhere Ich (Steiner) oder Seelische Wesen (Aurobindo), so beide Lehrer unabhängig voneinander, sei bei einer zunehmenden Zahl von Menschen heute zu einem bewussten Träger individueller und kosmischer Entwicklung gereift. Dank dieser stärker gewordenen seelischen Identität können sich Suchende auch ohne anhaltende Vermittlung von Gurus (und Priestern) mit der geistigen Welt in Bezug setzen und ihre eigene wie die Welt-Entwicklung „co-evolutionär“ beeinflussen.

In Ashland wie an der ganzen US-Westküste dominiert „Co-Evolutionary Transformation“ mit ihren vielen Ausformungen und Spielarten schon längst im Aufgebot der spirituell-mystischen Lehren und Methoden. Alternativen zu traditionellen Gurus und zu jahrtausendealten Erleuchtungslehren sind hier wie anderswo heute unschwer zu finden.


(INFO 3, Februar 2007)