Saturday, May 12, 2007

Millionär per Vorstellungskraft - Tellerwaschen war gestern

Westküsten-Streiflicht

Millionär durch Vorstellungskraft - Tellerwaschen war gestern

Wolfgang Schmidt-Reinecke

Im Trendsetter-Städtchen Ashland an der amerikanischen Westküste ist derzeit „Millionärs-Mind“ angesagt. Es handelt sich dabei um die neueste Variante der zahlreichen und meist recht kostspielig gehandelten New Age-Einführungen, die die Gestaltbarkeit der eigenen Realität propagieren. „The Secret“ fasst diese Botschaft als Film zusammen und wird in den USA und jetzt auch in Europa mit grossem Interesse aufgenommen. Die DVD-Präsentation verspricht eine positive innere Ausrichtung als hinlängliches Erfolgsgeheimnis für Reichtum, Gesundheit, Beruf und Liebe. Der Film wurde unlängst in der Talkshow einer der reichsten Frauen der Welt vorgestellt. Ein solcher Auftritt bei Winfrey Oprah bedeutet in der Regel in den USA den kommerziellen oder künstlerischen Durchbruch. So gesehen feiert das erfolgsorientierte New Age derzeit einen neuen Höhepunkt seiner eigenen Mission. Lässt sich damit auch ein neuer Entwicklungsschritt innerhalb des kollektiven Bewusstseins der Menschheit begrüssen?

Millionärs-Mind lässt sich zunächst einmal als die zeitgemässe Adaption eines uramerikanischen Mythos´ betrachten. Für den jedem offenstehenden Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär müssen heute nicht mehr Geschirrberge bewältigt, sondern vor allem die eigenen Gedankenkräfte gebündelt werden. Doch wie es so ist mit Mythen: Ihre Wahrheiten erscheinen in symbolischer Form und bedürfen zu ihrer Entschlüsselung der Intuition oder geschulten Interpretation. Wenn Mythen wörtlich genommen werden, entstehen oft Missverständnisse und Entstellungen.

Das okkulte Wissen über die gestaltende Kraft unserer Gedanken und unseres Willens hat eine lange Tradition. In Schamanismus und Magie bildete es die Grundlage selbst- oder fremdbezogener Manipulation. Je nach Aufgabenstellung entweder zum Wohle oder zum Schaden der Zielperson. Allerdings bedurfte es eingeweihter Mittelsmänner (oder -frauen), die mit Hilfe von Drogen und gezielter Schulung die nötige Konzentrationskraft aufwandten. Heute kehrt dieses Wissen in allen Abstufungen des sogenannten Positiven Denkens wieder. Nicht mehr als esoterische Initiation, sondern als massenhafte Kopierung des vermeintlichen Karriererezeptes erfolgreicher Menschen in der Geschichte.

Der Naturwissenschaft ist solch gedankliche Omnipotenz nicht bekannt. Was es in der traditionellen Physik gibt, sind lediglich Hinweise und Ergebnisse in Hinsicht auf telepathische und telekinetische Beeinflussungsmöglichkeiten. Mögliche quantenphysikalische Korrelationen zwischen Bewusstsein und dessen inhaltlichen Zielsetzungen sind denkbar, aber nicht ausreichend belegt. Die Psychologie kann uns da schon eher darüber Auskunft geben, wie wir auf meist unbewussten Wegen unser Schicksal lenken, etwa durch unsere Erwartungen und Ängste. Psychologie befasst sich jedoch in der Regel nicht mit bewusster Gedankenschulung, sondern eher mit der Analyse der Symptome des Unbewussten. Diese verborgene Weichenstellung als bewusste Gestaltungskraft gedacht lässt immerhin erahnen, in welch hohem Ausmass eine gezielte innere Ausrichtung das Leben entsprechend unseren Wünschen verändern könnte.

Zumindest innerhalb gewisser Grenzen. Da sind zum einen die sogenannten Naturgesetze einschliesslich unserer erbbiologischen Prägung. Sie – und das gilt auch für vorstellbare karmische Vorgaben - prägen und begrenzen uns sicher nicht unumstösslich, sondern sind vielleicht eher, wie der Philosoph und Bewusstseinsforscher Ken Wilber sie nennt, „Cosmic Habits“. Doch wie wir wissen, sind auch Gewohnheiten meist nur schwer zu durchbrechen... Zum anderen setzen gesellschaftliche und kulturelle Gedankenströme, das „kollektive Unbewusste“, unserem individuellen Gestaltungsvermögen Grenzen. Sie als einzelner direkt mit Willens- und Gedankenkraft zu beeinflussen ist wohl möglich, bedarf jedoch einer ausserordentlichen Bewusstseinsqualität.

Die besagten New Age-Schulen verschweigen meist diese Limitierungen und versprechen stattdessen grenzenlosen Erfolg. Und trotz der damit programmierten, zumindest teilweisen Enttäuschung bilden diese Schulungen eine grosse Hilfe für die vielen Menschen, die sich dem Leben und der Gesellschaft gegenüber als weitgehend ohnmächtig betrachten.

Neben der Betrachtung des realistischen Ausmasses ihrer Umsetzbarkeit stellt sich jedoch bei dem Phänomen der fokussierten inneren Zielsetzung auch die Frage nach ihrer seelischen und moralischen Verortung. Traditionell waren es kulturell legitimierte Personen wie Schamanen und Medizinmänner, die ihre besonderen seelischen und geistigen Kräfte in den Dienst der Gemeinschaft stellten. Darüber hinaus gab es immer auch gesellschaftlich geächtete Personen („Hexer und Schwarzmagier“), die ihr Wissen um die innere Beeinflussbarkeit der Welt in erster Linie für eigene Zwecke einsetzten.

Diese Entscheidungsmöglichkeit besteht auch heute, in einer Zeit der exoterischen Propagierung und Vermarktung einst esoterischen Wissens. Wir können diese neu entdeckte Wissen um die Gestaltbarkeit unserer Umwelt und unseres Lebens – ebenso wie technisches und naturwissenschaftliches Wissen - unseren selbstsüchtigen Interessen nutzbar machen. Wir können es aber auch unserem zunehmend offenbar werdendem seelischen Wesen oder höherem Ich unterstellen. Dass dieses Wissen dann gleichfalls in unserem Interesse einsetzt, dies jedoch auf einer viel tieferen Ebene und auf eine Art und Weise, die unseren „Erfolg“ auf feingesponnene Weise mit dem Wohle unserer Umwelt und unserer Mitmenschen verknüpft.

Von dieser Doppelgestalt unserer Individualität, dem Ego einerseits und dem seelischen Wesen oder höheren Ich andererseits, sprechen die vielen auf dem Esoterik-Markt angeboten „Bestellmöglichkeiten beim Universum“ meist nur wenig. Sie lassen es wohlweisslich offen, ob wir die angestrebten Millionen für uns alleine scheffeln oder mit ihnen (auch) zur Entwicklung unser Erde beitragen wollen. Im ersteren Fall, der blossen Bestellung mit dem „Mind“, wird die egoistische Inanspruchnahme dieser Bewusstseinskräfte lediglich den kapitalistischen Krieg aller gegen alle mit subtilen Mitteln verschärfen. Im zweiten Fall, das heisst einer tieferen oder „vom Herzen kommenden“ Ausrichtung, kann der Einsatz derselben Millionen zu einem echten seelischen Entwicklungsschritt führen.

Bemerkenswert ist übrigens, dass sowohl „The Secret“ als auch ein weiterer einflussreicher Film mit gleicher Tendenz jeweils von Machern produziert wurde, die sich auf gechannelte Durchgaben beziehen (bei „Secret“ die „Abrahams“-, bei „What the Bleeb“ die „Ramtha“-Wesenheiten). Channelings bilden heute in der Tat an der US-Westküste eine primäre Quelle ehemals esoterischer Wissensvermittlung. Laut den Aussagen vieler spiritueller Lehrer bergen diese Durchgaben jedoch Gefahr, Wahrheiten und Einsichten überwiegend in verzerrter oder einseitiger Form zu verkünden.

So bleibt denn die Aufgabe, angesichts der unerschöpflich strömenden Entdeckungen und Erzeugnisse der Neuen wie der anderen Welt(en) die unterscheidende Frage nach dem Qui Bono (Wem dient das?) zu stellen. Nicht nur inter-, sondern sozusagen auch innersubjektiv. Angesichts der abendländischen Geistesgeschichte hin zur Individualität nicht zuletzt eine primäre Aufgabe Europas.

INFO3 , Mai 2007


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