Westküsten-Streiflicht
Hahnenkampf um Paradigmen
Integrales Bewusstsein mit neuen Geschlechterrollen
Eine ungeschützte Beobachtung: Im politischen Leben, gleich ob Kalifornien oder Bayern, wirken die Vertreter traditioneller Welt- und Gesellschaftsbilder oft entschlossener und „kraftvoller“ in ihrem Auftreten als ihre liberalen Widerparts. Von jahrhundertealter Glaubensüberzeugung erfüllte Wahrheiten werden lautstark und selbstbewusst verkündet. Viele unentschlossene Wähler, selbst wenn sie eigentlich mehr zu liberalen Haltungen neigen, lassen sich von dieser scheinbar grösseren Schlüssigkeit beeindrucken.
Da es überwiegend Männer sind, die konservative bis fundamentalische Sichtweisen offensiv vertreten, die Frage: Ist diese ungebrochene Selbstgewissheit eine „männliche Eigenschaft“? In den USA gibt es jedenfalls viele, die die religiös orientierte Law-and-Order-Partei der Republikaner in Präferenz des „starken Geschlechts“ sehen und die sozial-liberaleren Demokraten eher dem weiblichen Wahlvolk zuordnen.
Jenseits vertrauter Polarisierungsmuster gibt es jedoch auch ein evolutionäres Erklärungsmodell. Nach diesem kündigt sich verborgen in einer liberal-integrativen Haltung ein grundlegend neues Welt- und Selbstverständnis an, das bisher einfach noch keine feste Gestalt angenommen hat.
Der US-Soziologe Paul Ray definiert die entstehenden Wertegemeinschaft der KulturKreativen unter anderem dadurch, dass sie sich noch keine verbindlichen Definitionen und kulturellen Ausdrucksformen geschaffen habe. KulturKreative – oder LOHAS - vereinen in eher lockerer Synthese Haltungen und Werte des traditionellen wie des modernen Lagers. Den konsequent nächsten Schritt, die innere und äussere Arbeit zur Definierung eines neuen und kohärenten Weltbildes, leisten allerdings nur wenige. Integrales Bewusstsein nennen der Evolutionsphilosoph Ken Wilber und der Entwicklungssoziologe Don Beck das geglückte Ergebnis solcher Erkenntnisarbeit.
Wilber war es auch, der auf die sogenannte Prä-/Trans-Verwechslung hinwies. Sie geht davon aus, dass sich heute neben traditioneller Religiosität eine sozusagen emanzipierte Spiritualität entwickelt hat. Sie bezieht rationales Denken mit ein, geht aber darüber hinaus. Diese transrationale oder ganzheitliche Haltung als solche nicht zu erkennen und stattdessen jegliche Form von Spiritualität als vormodern und vorwissenschaftlich einzustufen macht eben die Prä-/Trans-Verwechslung aus.
Lange vor Wilber hatte schon Rudolf Steiner eine entwicklungsbezogene Differenzierung innerhalb der spirituellen Ausdruckformen vorweggenommen. In seinem Vortrag Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe vergleicht Steiner die in Jahrtausenden ausgereifte Meisterschaft der vedisch-upanischadischen Spiritualität mit dem jungen, zu sich selbst erwachendem Christus-Bewusstsein. Ein Qualitätsvergleich, der hinsichtlich der jeweiligen Ausformung ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Entwicklungstiefe haushoch zugunsten der älteren asiatischen Spiritualität ausfällt.
Vielleicht auch deshalb erscheinen bis heute vielen Suchenden im Westen Advaita und - der auf historischen Grundlagen beruhende - Buddhismus als dem Christentum überlegene und verfeinertere Lebenskünste.
Der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn beschreibt die Abfolge jeweils dominierender Paradigmen. Ein neues Weltbild äussert sich zunächst schwach und vereinzelt. Im Stärkerwerden erfährt es meist heftige Abwehr seitens des regierenden Establishments. Kuhn personalisiert diese Auseinandersetzung: Erst mit dem Aussterben der nachdrücklichsten Verteidiger der bisherigen Lehrmeinung kann die neue dominierend werden.
Welches Paradigma in einer Gesellschaft vorherrschend ist, stellt sich so gesehen auch als eine Frage der (Laut-)Stärke ihrer jeweiligen Repräsentanten dar.
Dies mag helfen zu verstehen, warum dieser Darwineske Kampf um Welt- und Menschenbilder historisch gesehen meist von Männern geführt wird. Wilbers Versuch der Definierung und Implementierung eines neuen, integralen Bewussstseins scheint sich konsequenterweise vorrangig an männliche Rezipienten zu richten. Ausdruck findet dieser maskuline Appell zum einen im intellektuellen Gewand seiner ganzheitlichen Theorien und zum anderen in der kritikreichen Aggressivität des Wilberschen Ansatzes. Nicht zuletzt sprechen das muskelbepackte Äussere und die verbalen Cowboy-Attitüden Ken Wilbers für sich.
Es sind dies in jedem Fall ungewohnte Bilder und Töne in der sonst überwiegend sanft-esoterischen New Age-Ecke. In dieselbe versuchen die herrschenden Mainstream-Eliten in USA and Deutschland Wilber zu kategorisieren - allerdings nur mit mässigem Erfolg: Unter anderem Autoritäten wie Bill Clinton und Al Gore beziehen sich öffentlich auf Wilber.
Ein weiterer wichtiger Aspekt integralen Denkens, die ökologische Ganzheitlichkeit, wird in Amerika ausgerechnet vom legendären Macho (und Republikaner) Arnold Schwarzenegger vertreten. Mit seiner kalifornischen Umweltpolitik trägt der Governator nicht unerheblich dazu bei, energiesparende Verhaltensweisen (Stichwort Global Warming) in den USA hoffähig zu machen.
Glücklicherweise, so lässt sich bei Wilber nachlesen, kann vom Integralen Bewusstsein auch eine Synthese von männlichen und weiblichen Haltungen erwartet werden. Dieses neue und mehr intuitive Denken beinhaltet beispielsweise eine kommunikative, vermittelnde Qualität, doch zugleich darf (und muss) auch wieder stärker gewertet werden. Lange Zeit tabu in der positivierenden New Age-Esoterik. Wertungen beruhen hier allerdings nicht mehr auf moralischen Prinzipien, sondern eher auf situationsbezogenen und ganzheitlichen Abwägungen.
Vielleicht also sind es wie in den Vereinigten Staaten bald auch im Freistaat Bayern
zunehmend „g´standene Mannsbilder“, die als Vertreter eines integralen Bewusstseins in Erscheinung treten. Spätestens dann werden auch die letzten SPIEGEL-Leser bemerken, dass ein neues Paradigma im Raum ist.
INFO 3, Juli 2007
1 comment:
Lieber Sunwolf12,
..."bald auch im Freistaat Bayern
zunehmend „g´standene Mannsbilder“, die als Vertreter eines integralen Bewusstseins in Erscheinung treten."
Komm halt "back to the roots" und trete dort, also hier in Erscheinung!
"Ist diese ungebrochene Selbstgewissheit eine „männliche Eigenschaft“?"
Ich habe gerade das neue Werk von Horst-Eberhard Richter "Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft" (z.B. http://www.petersheim.de/node/827) gelesen und nach ihm gibt es eine unerwachsene und eine erwachsene Männlichkeit. Letztere gilt es zu entwickeln und m.E. gehört eine "ungebrochene Selbstgewissheit" sicherlich nicht dazu.
Zum Einüben in dieses neue Paradigma empfehle ich den Gestaltisten Gordon Wheeler: "Jenseits des Individualismus".
Danke für Deinen anregenden Text, lieber Sunwolf und bis bald mal!
Markwart aus Oaktown
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