Saturday, April 23, 2011

Westküstenstreiflicht: Mutiert oder Transformiert - Der „Neue Mensch“

Superman ist heute nicht laenger nur eine pubertaere Harry-Potter-Projektion omnipotenter Kraft. Dank zeitgenoessischer Filmplots Hollywoods und unzaehliger TV-Serien haben Helden mit eindrucksvoll potenziertem Handlungsradius Eingang in die Alltags-Traumwelt der Amerikaner gefunden. In Weiterentwicklung ihres deutschen Verwandten, des Nietzschen Uebermenschen, der hierzulande seit den Nazi-Zeiten nur noch ein unterirdisches Schattendasein fristet, stehen seinem US- Kollegen modernste Optimierungsverfahren im gentechnischen, nano-operativen oder auch virtuellem Bereich zur Verfuegung. „Avatar“ etwa praesentierte einen Helden, der mit uebermenschlichen Faehigkeiten ausgestattet in eine fremde Welt projiziert wurde.
Philosophisch wird das Bild einer technologisch bzw. gentechnisch manipulierten Menschheitsevolution als Transhumanismus bezeichnet, nach einem Ausdruck des Biologen Julian Huxley aus der Mitte des 20.Jahrhunderts. Transhumane Zukunftsvisionen gehen von einem materialistisch-atheistischen Menschenbild und der Vorstellung einer sich zunehmend verselbststaendigen Rolle von Technologie und Wissenschaft aus. Angesichts der von vielen Zeitgenossen wahrgenommenen Akzeleration der gegenwaertigen Entwicklung sprechen Transhumanisten von einem bevorstehenden Moment der Singularitaet, was den Zeitpunkt bedeuten soll, an dem das menschliche Gehirn der zunehmenden Komplexitaet des technologischen Fortschritts nicht mehr folgen kann und ein neues Menschenbild von Techno-Androiden den heutigen Humanismus abloest.
In den USA finden zu dem Thema Kongresse von Zukunftsforschern und Wissenschaftsautoren statt. Selbstbewusste Leitfiguren sind etwa der Science Fiction-Autor Ray Kurzweil oder der Neurophysiologe Hugo de Garsi („Die Aussicht, gottgleiche Kreaturen zu schaffen, erfuellt mich mit einem Gefuehl von religioeser Ehrfurcht!“). In der Tat ist im Wissenschaftsbetrieb und seinem angeschlossenen Gesundheitsmarkt die ideologiefrei und profitorientiert betriebene Opimierung von menschlichen Sinnesorganen, Gliedmassen, Koerper-und Hirnfunktionen inklusive gezielter genetischer (Neu-)Ausstattung laengst Realitaet.
Erstaunlicherweise wird diese weltweite Entwicklung kaum von einer breiten ethischen oder kulturellen Diskussion begleitet. In Deutschland ist zum Thema des „neuen Menschen“ eine besonders ausgepraegte Zurueckhaltung zu beobachten. Vielleicht gilt hier immer noch die beziehungsreiche Ansicht der frueheren Bundeskanzlers Schmidt, der einmal sagte: „Wenn mir jemand mit Visionen kommt, empfehle ich den Arzt!“.
Dabei war zu Beginn des vorigen Jahrhunderts der „Neue Mensch“ ein zentrales Thema in den Salons und Zirkeln europaeischer und besonders auch deutscher Kuenstler, Visionaere und Intellektueller. Damals schon reichte die Skala vom materialistisch-wissenschaftlich optimierten und verbesserten Menschen - darunter failen auch die angestrebten neuen Menschentypen des Marxismus und des Nationalsozialismus - bis zum Golem in Gustav Meyrings gleichnamigen Roman, der den alchemistisch erzeugten Homunkulus frueherer Jahrhunderte zum Vorbild hatte.
Mittlerweile ist allerdings leidvoll bekannt, dass allein schon das Leitbild eines hochgezuechteten Herrenmenschen zu moerderischen Konsequenzen fuehren kann. Es scheint deshalb, dass nicht nur in Deutschland seit den Wahnideologien des 20. Jahrhunderts Lust und Vertrauen in eine programmatische Menschenvision verloren gegangen ist. Der neue Mutantentypus in amerikanischen Medien spiegelt demzufolge eine ideologie-, aber auch ethikfreie Forschungswirklichkeit. Immerhin werden dabei allmaehlich wieder optimistischere Visionen erkennbar. Waehrend in „Matrix“ die virtuellen und saturierten Doppelgaenger noch auf manipulierter Massentaeuschung beruhten, kann in „Avatar“ der projizierte Held in einer besseren Welt seinen virtuellen in einen realen Status umwandeln.
Doch alle diese manipulativ optimierten Menschenmodelle, gleich ob in einer sinistren oder sympathischen Erscheinungsform, stehen im Widerspruch zu einer spirituell visionierten Weiterentwicklung des Menschen. Anthroposophische und theosophische Quellen sehen ebenso wie die integrale Schau Sri Aurobindos oder Ken Wilbers eine aus eigenem Impuls initiierte und evolutionaer intendierte Weiterentwicklung von Bewusstsein und Materie. Ziel ist eine neue und umfassendere Evolutionsstufe, bei Sri Aurobindo sogar eine neue Spezies.
Die Vision einer Fortentwicklung der Menschheit - und warum auch sollte die Evolution beim gegenwaertigen, offensichtlich unzulaenglich angepassten Homo Sapiens zuende gekommen sein? – erweist sich als tief im menschlichen Denken und Wollen verankert. Allerdings wird von Nietzsches Uebermensch bis zu den neuen Mutantenhelden der amerikanischen Medien-und Forschungswelten das Heil vor allem in der Potenzierung der vorhandenen physischen und psychologischen Ausstattung gesehen. Staerker, schneller und langlebiger sind die Merkmale des artifiziell artverbesserten Typus. Gaenzlich neue Eigenschaften und Muster werden kaum erkennbar. Das scheint immerhin verstaendlich, wie haetten beispielsweise auch menschliche Urahnen die Schoepferkraft eines modernen Einstein oder Beethoven imaginieren koennen?
Der wesentliche Unterschied zwischen Mutation und Transformation scheint aber zu sein, dass erstere keine ganzheitliche Entwicklung vor(aus)sieht. Der erwuenschte Zuwachs an neuen Faehigkeiten wird nicht ausbalanziert durch seelisches Wachstum, durch eine neue Qualitaet spiritueller Wachheit, Mitgefuehl und Verbundenheit. Tatsaechlich braucht es fuer diese seelische Entwicklung langer Schulung und Uebungspraxis. Es ist evolutionaer gesehen die auf die ganze Spezies erweiterte „mythische Heldenreise“. Diese seelische Reifung kann auch, wenn auch unter grossen Opfern, nachtraeglich geschehen. Harry Potter oder Avatar vermitteln etwa das Bild dieses nachgeholten Wachstums. Die Helden erhalten ohne ihr bewusstes Zutun uebermenschlichen Faehigkeiten und entscheiden sich dazu, sie nicht in den Dienst ihres Ego zu stellen, sondern sie ihrer seelischen, mit dem Ganzen verbundenen Erfuellung zu widmen.
Viele empfinden heute, dass wir die Schwelle zu einem neuen Evolutionssprung ueberschritten haben. Viele spueren auch die Einladung (oder den Druck), sich „co-evolutionaer“ an dieser Transformation zu beteiligen. Rudolf Steiners Erschliessung der geistigen Welten, Sri Aurobindos Hingabe an die evolutionaere Kraft und Ken Wilbers integrale Uebungspraxis sind erste Schulungswege fuer diejenigen, die unbeirrt von transhumanen Projektionen von den allein seelischen Grundlagen einer lebenswerten Entwicklung wissen.

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