Romantik zwischen Tübingen und San Francisco
Beim Wort Romantik denken viele an Sonnenuntergang, an südländische Liebesschwüre und an rote Rosen. Was viele nicht wissen: Romantik ist eine ausgesprochen „deutsche Affäre“ (Safranski). Und sie bedeutet entschieden mehr als nur zarte Blumengebinde. Schlegel und Nietzsche bezeichneten sie als “schöpferisches Chaos“. Die Geisteshaltung der Romantik verkörperte zur Zeit ihrer Hochblüte im 18. und 19. Jahrhundert „dionysisches Leben“. Vernunft, so sie denn dabei überhaupt im Spiel sein will, wird von einem heissen Strom von Rausch, Ekstase, Begeisterung und Liebe überwältigt...
Hallo? Und das soll „deutsch“ sein? Ekstase und Chaos? Sind wir nicht weltweit als sachlich-präzise Quadratdenker bekannt?
Nun - im Urteil vieler Betrachter sind wir beides. Nur ist der romantische Teil unserer deutschen Seele im Gefolge des pseudoromantischen Nazi-Faschismus gründlich abgetaucht. Öffentlich legitimiert und zugänglich blieb in der Neuzeit nur der andere Teil unseres Nationalcharakters, die nüchterne, „tüftelnde“ Rationalität. Zumindest die Sensibleren unter uns vermissen jedoch schmerzlich ihre romantische Seite - meist ohne sich zugleich über das reiche Erbe der deutschen Seele im Klaren zu sein,
Zum Glück, und das liesse sich natürlich über alle Nationen sagen, sind die Deutschen nicht allein. Wir reisen nicht zuletzt deshalb ins „Ausland“, um uns selbst zu finden. Und obwohl die Romantik als bewusste Geisteshaltung eine überwiegend deutsche Färbung aufweist, ist sie doch auch in anderen Teilen der Welt zuhause. Deutsche Reisende, seien sie Seelensucher oder nicht, erfahren die Begegnung mit romantischen Lebensweisen in anderen Kulturen oft wie Heimkommen.
Novalis, Hölderlin, Hofmannsthal und ihre vielen Dichter- und Künstlerkollegen vor zweihundert Jahren hätten vermutlich ihre Freude gehabt am romantischen Lebensstil des etablierten US-Westküsten-New Age. Es sind die heutigen Nachfahren der Flower Power-Hippies, die ihrerseits schon unverkennbar romantische Züge aufwiesen: Ekstase und poetische Sehnsucht, mystische Liebe zur Natur und zu natürlichen Kraftorten, Rausch, Tanz und Musik. Die meisten New Age-ler sind esoterisch interessiert und beziehen ihren Lebensstil und ihre Weltanschauung auf ein postmodernes Pantheon der Spiritualität.
„Romantik ist Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln“ definiert Rüdiger Safranski in seinem klugen Buch „Romantik - eine deutsche Affäre“. Der Raum des Spirituellen wird oft von wilder und chaotischer Kreativität eingenommen. Elementaren Ausdruck findet das etwa im „Burning Man“-Festival. Das Fest hatte 1986 in San Francisco seinen Ursprung, angeblich in Liebeskummer begründet (!). Mittlerweile brennt die namensgebende Riesenstatue jährlich vor 50.000 Teilnehmern in der Wüste von Nevada. Während des Festivals entsteht eine temporäre und mit atemberaubend künstlerischer Kreativität gestaltete Stadt, die anschließend wieder abgebaut wird. Im Jahr 2005 war “Seele” das Motto, 2008 galt dem “Amerikanischen Traum” und das Thema im Jahr 2009 lautet “Evolution”.
Romantischer Lebensstil ist auch während des Jahres vorherrschend. An nicht wenigen Orten der Westküste hat zum Beispiel ein sonntagvormittäglicher „Ecstatic Dance“ den traditionellen Gottesdienst abgelöst. Das sind von gemeinsamen Om-Chanten eingeleitete, ritualisierte Tanzfeste der „Conscious Communities“.
Ein unschuldiges Vergnügen? Sicher, doch zumindest der deutsche Betrachter wechselt irgendwann auch wieder zur Perspektive seiner pragmatischen Seelenhälfte. ihm fällt dann die Gleichgültigkeit des romantischen Treibens gegenüber kritisch-rationaler Vernunft auf, eine Ignoranz, aus der Blindheit gegenüber umgebenden politischen und sozialen Bedrohungen erwachsen kann. Immerhin empfanden viele ausländische Beobachter die USA über Jahre hinweg in moralisch und politisch immer trübere Fahrwasser abdriften. Als geschichtsbewusste Deutsche können dabei wir nicht anders, als uns an die Zeit zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zu erinnern. Etwa an die in vieler Hinsicht romantisch geprägten 20er Jahre mit Wandervogel, Lebensreform, rauschenden Kostüm-Parties und spirituellen Medien, die in Stil und Ausdrucksform durchaus das zeitgenössische US-New Age vorwegnahmen.
Der Historiker Isaiah Berlin hat die damalige deutsche Romantik im Vorfeld des heraufziehenden Unheils betrachtet. „Die Romantik hat deshalb politische Monstren ausbrüten können, weil sie, zuerst spielerisch und genial, dann aber praktisch dem Grundsatz gehuldigt hat, dass der individuelle schöpferische Wille stärker ist als jede subjektive Struktur der Welt, der man sich anpassen muss“.
Und genau diese Ausrichtung beschreibt auch die Kernhaltung des
neo-romantischen New Age zwischen Santa Cruz und Seattle. Die Überzeugung, dass eine „co-kreative“ Mitgestaltung der Welt im praktisch unbegrenzten Ausmass möglich ist. Nur zu oft entsteht daraus magisches und fast kindliches Wunscherfüllungsdenken á la „Secret“und „What the Bleeb“. In einer Welt, die ausschliesslich unserer subjektiven Gestaltungskraft gehorcht, fällt Politik bestenfalls die Rolle einer sekundären Wirklichkeit zu. Warnungen und kritische Analysen geraten in den Verdacht des “negativen Denkens“, das, ähnlich sich selbst erfüllender Prophezeiungen, unheilvolle Situationen und Bedingungen erst ins Leben ruft.
So sehr alldem ohne Zweifel ein gutes Körnchen Wahrheit innewohnt, so sehr, das zeigt nicht zuletzt deutsche Geschichte, bedarf eine einseitig gelebte Romantik der Ergänzung des rationalen Korrektivs.
Das gilt jedoch auch umgekehrt. Safranski etwa spricht aus der Position des nüchternen deutschen Zeitgenossen, der Romantik gerade erst in der deutschen Seele wiederentdeckt und neu legitimiert hat. Diese Wahrheit unseres romantischen Erbes dürfe uns nicht wieder verloren gehen, denn politische Vernunft und Realitätssinn seien zu wenig zum Leben. Oder, wie Rilke sagt, „wir sind nicht sehr verlässlich zu Hause, (allein) in der gedeuteten Welt.“
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